Frankfurt Glosse

BELLEVUE | eMagazin | 03/2015

GLOSSE FRANKFURT SPECIAL MAI / JUNI 2015 F ohne dass wir das merken? Sind einem am ersten Tag nach den 120 BELLEVUE 2/2014 ALI NEANDER ist Gründungsmitglied der Rodgau Monotones DAS GRÜNE WUNDER VOM MAIN Musiker und Wahl-Frankfurter Ali Neander über die Nachhaltigkeit Mainhattans und die Wiederverwertbarkeit von Raum und Zeit rankfurt hat ja vor ein paar Wochen von einem Wirtschaftsmagazin den Titel „nachhaltigste Großstadt der Welt“ verliehen bekommen, und als Bewohner der Mainmetropole reibt man sich ungläubig die Augen und fragt sich: „Was ist passiert, haben wir was nicht mitbekommen?“ Klar, die Mülltrennung funktioniert wohl, auch ist die Wiederverwertung der „Deckelscher“ beim Wäldchestag gegen herabfallende Blätter gesichert, aber das kann es doch noch nicht sein. Es muss verborgene Dinge im Alltag der Mainmetropole geben, die so ressourcenschonend sind, dass daraus ein wahrer Wettbewerbsvorteil entsteht. Nun, vielleicht ist es die alte Frankfurter Tugend der Raumnutzung. Schon Jürgen Grabowski brauchte ja nur den Platz einer Briefmarke, um die gegnerische Abwehr schwindelig zu spielen, und da Frankfurt ja eher eine kompakte Großstadt ist, die nach oben strebt, spielt sich hier viel auf engstem Raum ab. So breitete sich die Stadt in den letzten Jahren nur sehr zögerlich aus, stattdessen wird die halbe Innen stadt offenbar alle 20 bis 30 Jahre abgerissen und neu (und selbstverständlich vorbildlich wärmegedämmt) wieder aufgebaut. Demnächst gibt es eine neue Altstadt (klingt irgendwie paradox), das weltweit modernste Mittelalter. Auch ist die neue Zentrale der Europäischen Zentralbank die Wiederverwertung der alten Großmarkthalle. Klar, das macht Sinn ... Aber reicht das schon? Die enge Umbauung des Doms (offenbar aus Windschutzgründen) wird nicht so viele Heizkosten sparen, um sich wirklich auszuwirken. Sicher sind da noch andere Erfolg versprechende Recycling-Felder. Nun, der Raum wird also offenbar wiederverwertet, aber warum dann nicht auch die Zeit? Wie wäre es, wenn in Frankfurt ganze Tage noch mal stattfänden, Ferien im Stau auf der A66 nicht auch schon die Gesichter in den anderen Autos bekannt vorgekommen? Oder beim Museumsuferfest beim Anstehen am Flammkuchenstand? Werden etwa seit Jahren die Tabellenstände der Eintracht wiederverwertet? Ja, ja, „Déjà-vu“, sagt da der Psychologe, aber vielleicht tun sich da weltweit gigantische Einsparungsmöglichkeiten auf. Vielleicht wird in Frankfurt ja schon die Einführung neuer iPhones wie- derverwertet, der Urlaubsbeginn auf dem Flughafen, Bild-Zeitungsüberschriften oder unter Umständen ganze Buchmessen. Ist das die neue Avantgarde? Wird es vielleicht in naher Zukunft Computeralgorithmen geben, die die Neuartigkeit kommender Tage prognostizieren und die dann gegebenenfalls durch alte Tage ersetzen? Was wird dann aus Offenbach? Aber vielleicht ist mit Nachhaltigkeit doch noch etwas anderes gemeint. Zum Beispiel der nachhaltige Eindruck, der nach dem Erhalt mancher Restaurantrechnung entsteht, das Gefühl, nachhaltig die Nase voll zu haben, wenn man sein abgeschlepptes Auto nachts um zwei aus Preungesheim abholen muss, oder bei der Wohnungssuche in „bevorzugten“ Vierteln. Aber auch die nachhaltige Gewiss heit, in einer Stadt zu leben, die das schon hinter sich hat, was andere Städte noch vor sich haben. Das hat doch was, denn jetzt wurde Frankfurt auch noch zur Stadt mit der siebtbesten Lebensqualität weltweit gewählt. Warum nur die siebt beste? Was hat Wien, was wir nicht haben? Kleiner Scherz … Q Ali Neander ist Gründungsmitglied der Rodgau Monotones, spielte und spielt mit Xavier Naidoo, Sabrina Setlur, Edo Zanki, Moses Pelham, Glashaus, Hellmut Hattler u. v. a. Er ist ein einigermaßen loyaler Frankfurt- Bewohner (Frankfurter wäre zu viel gesagt), Eintracht-Fan, Hessen- Möger, aber auch (typisch hessisch) Hessen-Beschimpfer. FOTO: privat; ILLUSTRATION: T. Rieger


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