D sexualität und sexuelle Vielfalt erreichen. Die Gegner dieses Bildungsplanes BELLEVUE 2/2014 133 CHRISTOPH SONNTAG ist Bühnenkünstler, Buchautor und Radiostar RAUCHENDE TOLERANZ-TÜRME Wenn Kabarettist Christoph Sonntag über seine Heimatstadt spricht, nimmt er nur selten ein Blatt vor den Mund en meisten Menschen fällt, auf Stuttgart angesprochen, spontan ein: Daimler, Porsche und Fernsehturm. Die ersten beiden hat unser grüner OB Fritz Kuhn erst mal noch offen gelassen, aber Letzteren hat er geschlossen. Aus Brandschutzgründen. Obwohl der Fernsehturm erst vor gar nicht allzu langer Zeit mit hohem Finanzaufwand generalsaniert und neu eröffnet worden ist, hat man nun festgestellt: Die Brandschutzmaßnahmen sind absolut ausreichend! Aber dummerweise nur, solange es nicht brennt. Also hat man den Fernsehturm erst mal zugemacht und von Spezia listen für viel Geld einen Rauch-Test machen lassen. Das hätte man billiger haben können: einfach den beliebtesten Deutschen, Altkanzler Helmut Schmidt, dort mal mit drei Stangen Mentholzigaretten für zehn Minuten allein lassen! Wenn der in Hamburg sein Fenster aufmacht, muss der dortige Flughafen vorsichtshalber immer zehn Flüge streichen! Aber man hört, es gäbe einen Weg, den Fernsehturm in Stuttgart wieder für Besucher zu öffnen, und mit Glück können wir also bald wieder rauf auf unser schönes Wahrzeichen. Ich schlage als Event zur Neueröffnung vor, oben auf der Aussichtsplatte einen Grillabend mit Holzkohle- Barbecue zu geben. Des Weiteren beweisen einige Menschen in Stuttgart erneut, dass hier gerne wider den Stachel gelöckt wird. Nachdem unser Hauptbahnhof nun endgültig unter die Erde kommt, haben diese Menschen ein anderes für sie unterirdisches Thema entdeckt: den neuen Bildungsplan unse rer grün-roten Landesre gie rung. Er soll in den Schulen Toleranz für Homo- sind allesamt besorgte Eltern, die sehr große Angst haben, solche Unterrichtsthemen könnten ihre Kinder versehentlich sexuell auf die falsche Bahn setzen. Das würde aber bedeuten, dass es Kinder gibt, die glauben, was ihr Lehrer sagt! Und ihm auch noch zuhören! Hinter so einem Denkansatz steckt eine nahezu rührende Naivität! Viele Protestler fordern: „Schon der Begriff Homo sapiens muss weg, das muss Hetero sapiens heißen!“ Vielleicht muss man ja das Ganze nicht zu eng sehen und die Thematik einfach ein bisschen locker vermitteln? Beispielsweise über Textaufgaben in Mathematik: „Peter und Erik wollen heiraten. Für ihre Feier haben sie 100 Leute eingeladen, die 30 Flaschen Wein à 10 Euro und 480 Liter Hugo, Aperol Spritz und Eierlikör à 12 Euro trinken. Rechne aus: Wie viele Gäste sind Friseure?“ Andererseits sollte man sich über das Schulwesen in unserem Land nicht lustig machen. Die Lehrer haben es oft schwer und jammern zu Recht: „Schaut euch doch mal an, wie es an den Schulen zugeht: Mobbing, Alkoholismus, Gewalt – und jetzt geh erst mal raus aus dem Lehrerzimmer!“ Ansonsten beweisen sämtliche Umfragen immer wieder aufs Neue: Wir Bürger und Einwohner sind ausgesprochen zufrieden mit und in Stuttgart. Selbst mit unserem neuen, bereits erwähnten grünen OB Fritz Kuhn. Der hat früher mal Philosophie studiert. Das passt, denn der Schwabe an sich ist ja auch ein großer Philosoph und hat sich schon immer gefragt: Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Und: Isch dort au älles saubor butzt? Und selbstverständlich wird in Stuttgart gebaut auf Teufel komm raus, dass manch einer nicht mehr mitkommt. Als im letzten Jahr die Nachricht in der Zeitung stand „Das neue Affenhaus ist fertig!“, haben viele Stuttgarter hochverwirrt reagiert und gesagt: „Hano! Dess isch jetzt aber doch schnell gange mit dem Umbau vom Landtag!“ Q CHRISTOPH SONNTAG lebt in Stuttgart/ Bad Cannstatt. Mit seiner „Stiphtung Christoph Sonntag“ engagiert er sich stark in sozialen und ökologischen Projekten. FOTO: Christoph Sonntag Kabarett; ILLUSTRATION: T. Rieger GLOSSE STUTTGART SPECIAL SEPTEMBER / OKTOBER 2014
BELLEVUE | eMagazin | Heft 05/14
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