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BELLEVUE | eMagazin | 05/2016

GLOSSE STUTTGART SPECIAL SEPTEMBER / OKTOBER SELBST IST DIE WAHRNEHMUNG Wenn Kabarettist Christoph Sonntag über seine Heimatstadt spricht, hat er nicht selten eine ganz besondere Sicht der Dinge Endlich, Stuttgart scheint mir eine Stadt zu sein, an der sich die Gemüter reiben. Ich reise immer fröhlich in andere Städte, zum Beispiel nach Freiburg, nach Karlsruhe oder nach Baden-Baden, und habe oft den Eindruck, dort kann man nicht einfach so hinnehmen, dass ich aus Stuttgart bin. Wäre ich aus Darmstadt, München oder Berlin, okay, aber Stuttgart? Lass uns da mal dranbleiben … Im Frühsommer (den man dieses Mal daran wahrnehmen konnte, dass der Regen wärmer wurde) traf ich in Freiburg auf etwa 23 Menschen, und 23 Menschen mussten einen hämischen Witz über Stuttgart und die zweite Fußballbundesliga ablassen. Mir geht es so: Ich freue mich für den SC Freiburg, über seinen Aufstieg in die erste Bundesliga, und ich trauere mit dem VfB wegen des Abstieges in die zweite. Ein Freiburger ist lieber Bayern-München-Fan, als dass er ein wohlwollendes Wort über den VfB Stuttgart verliert, und in Karlsruhe werden schon die Messer gewetzt, wenn man an die künftigen Lokalderbys in der zweiten Liga denkt. Ich habe den Eindruck, dass viele Stuttgarter solch Denken nicht kennen. Wir freuen uns über den Schwarzwald und definieren uns gemeinsam gegen die anderen. Kurz: Wir mögen uns und verstehen gar nicht, dass die anderen das nicht im selben Maße tun. Ich schüttle immer wieder erstaunt den Kopf über uns, unsere Selbstwahrnehmung und über das Bild, das wir nach draußen abgeben. Kürzlich war ich bei der Verabschiedung von Susanne 138 BELLEVUE 5/2016 CHRISTOPH SONNTAG ist Bühnenkünstler, Autor und Radiostar Eisenmann, die viele Jahre Kulturbürgermeisterin Stuttgarts war und ins Amt der Kultusministerin gewechselt hat. Die Verabschiedung war ein richtiges Fest, bei dem auch alle widerstreitenden Parteien konstruktiv den Abgang einer schwarzen Politikerin bedauerten. Wir sind vorbildlich, was pragmatische, freundliche und bürgernahe Demokratie angeht, aber keiner kriegt’s mit. Hier hat es ein grüner (!) Ministerpräsident geschafft, sich in die Herzen von über 60 Prozent der Menschen zu stehlen, seine Wiederwahl zu sichern und erst ein funktionierendes grün-rotes und danach ein grün-schwarzes Bündnis zu schmieden. Das geht alles geräuscharm und weniger selbsteitel als in anderen Bundesländern. Diese Sensation fand in der bundesdeutschen Zeitungswelt auf den hinteren Seiten statt. Ich behaupte: Winfried Kretschmann schafft für sein Bundesland mehr Konstruktives als Horst Seehofer, der vor lauter Poltern keine Zeit mehr zum Regieren hat und jeden Tag auf den Titelseiten der Zeitungen steht. In mir verdichtet sich der Eindruck: Etwas, das funktioniert, ist langweilig; sexy sind Streit und Abgrenzung. Somit ist es das allerbeste Lebensmodell, als Kabarettist gemütlich in Stuttgart zu leben und von hier aus auf alle anderen zu schimpfen. Übrigens, nur in unserem Bundesland ist es möglich, dass ein politischer Herausforderer, in unserem Fall Guido Wolf von der CDU, eine Landtagswahl krachend verliert und noch am Wahlabend den Anspruch erhebt, Ministerpräsident zu werden. Später erhält er dann ein Ministeramt, nämlich das für Justiz und Tourismus. Eine großartige Mischung: Er ist jetzt auch zuständig für die vielen staatlichen Hotels mit Gitterstäben vor den Fenstern. Im Wahlkampf wurde Guido Wolf mal von einer Zeitung gefragt, ob er sich in der Stadt oder auf dem Land wohler fühle. Seine Antwort: „Ich bin ein Stadtlandmensch!“ Ich sage es doch, so sind wir halt, wir können alles, selbst so was. Als Nächstes erfindet Guido Wolf bestimmt den vegetarischen Rostbraten. Oder den Striptease ohne Ausziehen! Wir in Stuttgart warten gespannt darauf. Alle anderen kriegen es wahlweise nicht mit, oder es interessiert sie nicht. ■ CHRISTOPH SONNTAG (www.sonntag.tv) Der Kabarettist ist studierter Landschafts- architekt und Träger des Verdienstordens des Landes Baden-Württemberg FOTO: Christoph Sonntag Kabarett; ILLUSTRATION: T. Rieger


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