Stuttgart Glosse

BELLEVUE | eMagazin | 05/2015

GLOSSE STUTTGART SPECIAL SEPTEMBER / OKTOBER 2015 E glei, i muss bloss vorher no gschwend des Depäschle naushaue, des BELLEVUE 5/2015 110 CHRISTOPH SONNTAG ist Bühnenkünstler, Buchautor und Radiostar AUTOS, VFB & BALKONBÖDEN Wenn Kabarettist Christoph Sonntag über seine Heimatstadt spricht, nimmt er nur selten ein Blatt vor den Mund ine rauschende Party. Allgemeiner Small Talk: „Und, wo wohnen Sie?“ „In Stuttgart!“ Betretenes Schweigen legt sich über die Gesellschaft. Die anderen Gäste, die natürlich alle aus bekannten Metropolen wie Berlin, München oder Wanne-Eickel stammen, werfen dir einen mitleidigen Blick zu. Warum? Stuttgart ist nicht ganz so sexy wie Berlin, in Ordnung – aber halt auch nicht so arm. Und, ganz ehrlich, was ist im Alltag wichtiger? Und Stuttgart ist viel aufregender als beispielsweise München! Man muss nur mal ein Spiel des VfB Stuttgart mit einem vom FC Bayern vergleichen. Wo regt man sich mehr auf? Also! Allenfalls Hamburg kann einigermaßen mit Stuttgart mithalten – aber nur in Sachen Nebel, der in beiden Metropolen etwa gleich ist. Wobei unserer nicht vom Hafendunst kommt, sondern vom Feinstaub der Neckarstraße. Auch in anderer Disziplin liefern sich Hamburg und St uttgart ein Kopf-an-Kopf-Rennen – was macht zuerst auf: die Elbphilharmonie oder der Fernsehturm? Gerüchteweise könnte Letzterer schon lange wiedereröffnet sein, aber unser grüner OB Fritz Kuhn besteht angeblich darauf, dass noch ein Radweg nach oben hinaufgebaut wird. Stuttgart ist beileibe keine Stadt, die einem den Kopf verdreht, wie es der Möchtegern-Glamour anderer deutscher Metropolen tut – Stuttgart erhält selbst Prominenten ihre Bodenständigkeit. Bestes Beispiel ist unser grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der einst auf die Journalistenfrage, worauf er besonders stolz sei, geantwortet haben soll: „Auf meinen selbst verlegten Balkonboden.“ Man kann es sich lebhaft vorstellen, wie Kretschmanns Frau geschrien hat: „Winfried, kommsch zom Essa?“ „Gerlinde, Gesetzle dohande do vorbereite ond no weiter am Balkonbode bossle!“ Wie wohltuend wirkt so ein bodenständiger Landesvater im Vergleich zum politischen Geisterfahrer aus dem bayrischen Nachbarland? Und, man kann es einfach nicht oft genug erwähnen: Wer baut die tollsten Autos, den Traum aller Männer zwischen 18 und 98? Richtig: Porsche, unsere Zuffenhausener Sportwagenschmiede! Daimler dazu, und es bleibt: Wir sind Autostadt, und auch wenn es wegen unserer Kessellage und der damit verbundenen Platz- und Umweltprobleme zunehmend eingeschränkt werden soll, macht das Fahren bei uns in Stuttgart trotzdem immer noch mehr Spaß als das Parken. Denn nirgendwo sind die Gebühren in den Tiefgaragen höher als bei uns. Das führt dazu, dass Onkel Ernst aus Welzheim Tante Erika in der City aussteigen lässt und dann drei Stunden lang in der Stadt rumkurvt, bis sie alles eingekauft hat. Das spart – er hat es ausgerechnet – zehn Euro achtzig. GANZ billig kommen natürlich unser grüner Ministerpräsident und sein Verkehrsminister weg: Die lehnen ihr gepanzertes Dienstfahrrad einfach an den Baum vor dem Landtag. Auch was die Grundstückspreise angeht, braucht sich Stuttgart nicht zu verstecken. Wahrscheinlich zieht es deswegen viele Schwaben nach Berlin – weil’s do billiger isch! Gut, die müssen dann dafür damit leben, dass man sich in der Bundeshauptstadt nur über ihr Geld aus dem Länderfinanzausgleich, nicht aber über sie als Landsmannschaft freut und sogar zottelbärtige Ex-Bundestagspräsidenten sich über sie beschweren. In einem Bereich ist Stuttgart sogar absolute Spitze, was die Kosten angeht. Es gab nämlich mal die Schlagzeile: „Neue Studie! Sterben ist in Stuttgart am teuersten!“ Da weiß ich heute schon, was man in 20 Jahren lesen wird: „Rätselhafte Studie belegt: Stuttgarter Schwaben sterben immer später, in günstigen Großgruppen, oder sie bleiben untot und finden sich in geeigneten Biotopen wieder.“ Die Rede ist von Promi- Partys. ■ CHRISTOPH SONNTAG lebt in Stuttgart/Bad Cannstatt und hat sein 13. Buch verlegt (Heyne Verlag): „So, jetzt wär des au g’schwätzt!“ Am 30.10.2015 fi ndet ein TV-Mitschnitt seines aktuellen Programms statt. Karten unter www.sonntag.tv FOTO: Christoph Sonntag Kabarett; ILLUSTRATION: T. Rieger


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