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BELLEVUE | eMagazin | 06/2017

Glosse MÜNCHENSPECIAL 6/2017 DAS WENDIGE FRÄULEIN ZUKUNFT Nach Meinung von Künstlerin Sissi Perlinger müsste München eine reine Fahrradstadt sein. Dafür sieht sie auch die Münchner selbst in der Verantwortung kommen zu lassen. Eine Wohnung mit Blick auf den Mittleren Ring in München dürfte auch heute noch eher ein Ladenhüter sein. Aber sobald diese Immobilie von Lärm und Dreck befreit ist, würde sie schlagartig zum heiß umworbenen Juwel. Komischerweise stört sich kaum einer am Lärm aufgerissener Motoren … aber wehe, wenn mal einer ein Musikinstrument spielt!! Da steht sofort die Polizei vor der Türe, als wäre es ein Verbrechen BELLEVUE 6/2017 135 Ich habe einen Zukunftstraum! Ich sehe breite, gut ausgebaute, rot markierte Fahrradwege in ganz München, die wie pulsierende Verkehrsadern die Außenbezirke mit der Innenstadt verbinden und die gesamte Umgebung überziehen wie ein feinmaschiger Hutschleier. Ich sehe nur noch ganz vereinzelt geradezu verloren wirkende Elektroautos vor sich hin fiepen und überall Massen von lachenden, fitten, bunt gekleideten Radlern, die ihre Kinder und ihre Gefährten „Sacki und Packi“ auf großen Anhängern durch die Gegend kutschieren. Ist das eine völlig unrealistische Utopie – viel zu kühn, um je wahr zu werden? Nö, in Kopenhagen geht’s schon fast so zu. Lassen Sie mich jetzt mal in die Vergangenheit schweifen. Noch im Jahr 1895 stand in der „Times“, hochrangige Wissenschaftler hätten errechnet, dass spätestens im Jahr 1950 ganz London unter einer fünf Meter hohen Schicht aus Pferdedung begraben sein würde. Doch das wendige Fräulein Zukunft hat selbst die schlauesten Zahlenjongleure immer wieder ausgetrickst. Gott sei Dank hat sich die Menschheit zumindest bisher immer wieder zu helfen gewusst. Die Motivation, etwas zu verändern, braucht allerdings immer das Gleitmittel des Leidensdrucks, deswegen hier mein Aufruf an alle Leute, die an viel befahrenen Straßen wohnen. Geht auf eben jene Straßen und demonstriert für euer Recht auf Gesundheit! 70.000 Menschen sterben in diesem Land jedes Jahr an den Spätfolgen von Stickoxiden. Wenn der gesundheitliche Aspekt nicht ausreicht, so könnte vielleicht die finanzielle Komponente ein Ansporn sein, um die Betroffenen aus den Pötten und in die Puschen SISSI PERLINGER ist aktuell mit ihrem Programm „Ich bleib dann mal jung“ unterwegs. Passend dazu gibt es auch ein Buch mit dem gleichen Titel. Mehr Infos unter www.sissi-perlinger.de und als gäbe es keine Ohrpfropfen in der Drogerie, mit denen man sofortige angenehme Stille herbeizaubern kann. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass kein einziger großer Song in der Pop oder Rockmusik der letzten 70 Jahre tagsüber entstanden ist. Diese Art von Broterwerb und auch das dafür nötige Üben finden naturgemäß nach 21 Uhr statt!! Churchill sagte mal, als er gebeten wurde, die Gelder für Rüstungsausgaben zu erhöhen und dafür einfach den Kulturetat zu kürzen: „Wofür kämpfen wir denn dann überhaupt?!“ FOTO: Franziska Schrödinger; ILLUSTRATION: T. Rieger


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